Bildbetrachtung: 9. November

9. November, 60 x 60, Acryl und Kreide auf Leinwand, 2009

Als Pendant zum „11. September“ ist das Bild „9. November“ entstanden.

Eine Freundin sagte mal zu mir, dass die politischen Daten, die mit meinem Leben und meinen Lieben zu tun haben, nicht zufällig seien.

Ich bin am 9.11.1956 geboren. Mein Mann ist am 11.9.1956 geboren, ein netter Zahlen(ver)dreher.

Im Zentrum des nebulösen Spinnennetzes finden wir die Jahreszahl (19)38, rechts daneben (19)18, unten (19)89 und (19)56.

Historische Daten, folgenreiche Daten und vor allem: sie hängen sehr eng zusammen. Vielleicht kann man das heutige Deutschland nicht verstehen, wenn man diese Zusammenhänge nicht wirklich begreift.

Es ist noch kein demokratisches Deutschland vom Himmel gefallen, so wie auch nicht Hitler oder die Revolution über Nacht über uns gekommen sind.

Früher (in den 70-er Jahren) habe ich jahrelang an meinem Geburtstag nicht zu Hause gefeiert, sondern war auf der Straße mit vielen anderen, um an die Reichspogromnacht 1938 (im Nazijargon: Reichskristallnacht) zu erinnern.

„Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg“, das war die Losung. Damals gab es noch keine offiziellen Gedenkfeiern von Politikern oder gar Demonstrationen wie heute; es war die Zeit des vornehmen Totschweigens dieses „dunklen Kapitels“ deutscher Geschichte.

Und 1918? Was ist übrig geblieben von der Revolution der Arbeiter- und Soldatenräte? Welche Hypothek hatte die Weimarer Republik bei ihrer Gründung? Waren Hitler und der Faschismus auch eine Folge der möglicherweise nicht so richtig gewollten Demokratie?

Während meines Studiums habe ich mich immer wieder mit diesen Fragen beschäftigt.

Bis heute scheiden sich die Geister sowohl an den Ergebnissen von 1918 als auch am Ende der Weimarer Republik. Gab es eine reale Chance, Hitler zu verhindern? Ich glaube, ja, wenn nicht so viele weggesehen hätten und sich die Linken einig gewesen wären damals. Und heute?

Und 1989? Am 9.11.1989 lebte ich in Berlin (West) keine 10 Minuten von der Grenze entfernt.

An meinem Geburtstag 1989 selbst habe ich zunächst nicht viel mitgekriegt. Später haben mich dann meine Gäste in Richtung Grenze verlassen und ich habe bereits ein Grummeln im Bauch verspürt.

Die Losungen veränderten sich schnell: „Wir sind das Volk“ wurde zu „Wir sind ein Volk“. 20 Jahre später ist immer noch nicht zusammen gewachsen, was angeblich zusammen gehört.

Erinnern ist Rückschau und Ausblick, ist Lernen und Lehren ziehen aus der Geschichte und damit Grundlage für Hoffnung.

Erinnern heißt für mich, die Zusammenhänge zwischen 1918, 1938 und 1989 nicht aus den Augen zu verlieren.

Im Spinnennetz der Geschichte gefangen, bin ich längst eine Nachgeborene und persönlich nicht verantwortlich, aber politisch, denn: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“


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